Das schönste Lächeln scheinen Menschen zu haben, die das schwerste Kreuz mit sich tragen mussten oder noch tragen. Sie verzaubern einen vom Fleck weg, noch bevor die Intuition die Fühler nach ihnen strecken muss. Strahlend wie klares Quellwasser, das ihnen hinter verschlossenen Türen die Wangen runter perlt.
Im vergangen langen Jahr der Pandemie habe ich in unzähligen digitalen Teamsitzungen, Fachtagungen, vergleichbaren Zusammenkünften mit Bekannten und Fremden, in digitalen Elternabenden, Erstkommuniontreffen der Kinder, schulischen Meetings aber auch familiären und freundschaftlichen Treffen über das Videostream-Medium Menschen gesehen und versucht wahrzunehmen. Es ist eine Hilfe, diese Möglichkeit zu haben. Und es nährt am Ende doch die Sehnsucht nach dem realen Treffen. Das ungefilterte Lesen in Mimik, Gestik und der Ausstrahlung während des Gesprächs bleibt in der digitalen Welt sehr begrenzt. Der Versuch der online-Wahrnehmung des anderen strengt dennoch und gerade deshalb mehr an.
Diese Woche hatte ich auf Arbeit ein erstes live-Treffen mit meinen Kolleginnen seit Mitte Dezember 2020. Es war sehr schön, für ein paar Stunden im Freien zusammen zu kommen. Und es war verdammt anstrengend! Diese intensiven, ungefilterten Eindrücke von vier Menschen gleichzeitig, fast schon eine Überflutung der Sinne.
Und doch, ich vermisse und will mich an das so stark vermehrte Leben am Bildschirm nicht gewöhnen! Ich vermisse die uneingeschränkte Möglichkeit, Menschen in Mengen begegnen zu können, auf Konzerten, im Theater, beim Tanzen. Sie ganz nebenbei und mich mittendrin intensiv wahrnehmen zu können. Ich vermisse viele kleine Dinge von Menschen, die nicht mehr durch mein Leben wandern und durch dessen Leben ich nicht mehr wandere. Ich erinnere mich an den letzten Kuss. Es sollte kein letzter Kuss werden. Ich erinnere mich an das letzte Mal, das ich vor einer anderen Person als vor mir geweint habe, wirklich geweint habe. Sie sollte mich nicht weinen sehen.
Die stärksten Erinnerungen passieren ungeplant und ergreifen uns fürs Leben. Und sie passierten mir nicht digital.
Eine Freundin schenkte mir zu Weihnachten eine Duftkerze mit einer dezent versteckten Aufschrift: A life filled with wonder is a wonderful life. In den Wochen nach Weihnachten staubte die Kerze in einer schönen Verpackung erstmal ordentlich zu, bis ich sie schließlich rausholte und sie vor wenigen Tagen abends anzündete. Jetzt ist es meine Guten-Abend-nach-21Uhr-Kerze geworden (wenn ich mich nicht gerade freilaufe draußen) und wie es aussieht, wird sie mich noch viele Abende begleiten, bis hoffentlich die erste Sommerwärme durch die Fensterritzen eindringt.
A life filled with wonder is a wonderful life. Ein Leben voller Wunder ist ein wundervolles Leben.
Ich kann nicht mehr so hoch fliegen ohne dich. Und ich kann nicht mehr mich so nah sehnen an dich. Jetzt hilft nur ein Wunder, denke ich mir manchmal.
Ein lieber, im Greifbaren unbekannter Mensch aus der Ferne Österreichs hat vor Kurzem über die sozialen Medien ein paar Zeilen mit mir gewechselt. Auch das ist Digitalisierung. Sie erinnerte mich an das Offensichtliche und doch immer wieder zu Schütt gekommene/ kommende. Es sei ganz wichtig, an Magie und an Wunder zu glauben. Erst dann könnten sie auch geschehen.
Du kannst stark sein und Schwäche zeigen. Den Durchblick haben und dich verloren fühlen. Liebesbeseelt und wuterfüllt sein. In Trauertränen versinken und frohlockend im Freudemoment dem Erdboden entgleiten. Leben und Sterben. Es wiederfährt uns alles manchmal zeitgleich. Und diesen Zusammenfall der Gegensätze versuchen wir jeden Tag aufs Neue nach besten Möglichkeiten zu leben. Manche Toten muss man gehen lassen. Und manche Toten muss man immer und immer wieder (zurück) ins Leben rufen. Der Zusammenfall der Gegensätze.
Ich weiß nicht, wo der Ort ist, an welchem Wunder geschehen. Ich weiß nur, sie passieren irgendwo dazwischen, zwischen Tag und Nacht, zwischen Erinnern und Vergessen, zwischen Träumen und Wachen. Gerade dort, wo die Gegensätze zusammenfallen und in Harmonie kleine Wundertüten ausbrüten.
Meine kleinen Wunder in diesem Jahr werden sein. Ich werde dieses Jahr meinen aktuellen Arbeitsplatz verlassen. Ich werde das Meer im Warmen zu Gesicht und durch die Blutbahn fließen bekommen. Ich werde wieder überdauern und mich nicht verlieren und Menschennähe wünschen.
Dort, in der warmen Zone vor der Berührung deiner Haut, möchte ich gespannt verweilen und dem Lodern der Begierde lauschen. Dort, wo Haut aufhört nur ein Organ zu sein und sich zum Spiegel der Seele freifächert.
Heute halten mich die Energie des Frühlings und die Einsamkeit wach. Und zur Abenddämmerung, wenn derzeit meine Spazierrunden stattfinden, finde ich mich unter der klaren Stadtrandluft oder der unklaren in Berliner Mitten tief einatmend wieder. Und tief ausatmend. Und an manchen Tagen braucht es nicht mehr.
Momente, in welchen wir weder vorwärts leben noch rückwärts verstehen, die sind mir die liebsten. Danach kann ich Zeilen sammeln, bis das Wirrwarr einem aus dem Bildschirm über die Tasten fließt und in die Finger gleitet. Und umgekehrt. Und mit etwas Glück einem noch Unbekannten digital in seine Lesesicht fällt.

Just Breathe
Wunderschön ?