Zum Wohle des Er-Lebens

Die Kunst des Lebens mit vollen Terminkalendern und dem  ,zu-wenig-Gefühl‘ liegt für mich im Weglassen, um mehr ,Er-Leben‘ zuzulassen. Und das ist weiß Gott eine große Herausforderung für den Perfektionisten im Schlepptau. Das kann das Weglassen von vielen kleinen aber auch größeren materiellen Dingen bedeuten, die Geld kosten, das verdient werden muss, Platz einnehmen, der zur Verfügung stehen muss, Pflege brauchen, die Kraft und Zeit kostet etc. Ein Beispiel ist das Auto. In einer Großstadt wie Berlin kommt man und frau sehr gut ohne dieses (fast) überall hin. Der wöchentliche Großeinkauf kann auf mehrere kleinere aufgeteilt werden. Der Einkauf von sperrigen Dingen kann mit Lieferservice vor die Haustür bestellt werden. Und für gelegentliche Ausflüge außerhalb eignet sich ganz gut die Deutsche Bahn oder aber, mit ganz viel Glück, kennt man jemanden, der für ein paar Tage einen Tauschhandel eingehen würde – Auto gegen Haustierpflege, Autopflege, Kinderhüten oder bloß gegen pure Nettigkeit (auch das soll es tatsächlich geben!). Ein kleiner aber nicht unwesentlicher Nebeneffekt der Autolosigkeit ist eine angenehmere Muskelkonsistenz in den Beinen, mehr Durchzug im Kopf und das Gefühl von – Ich habe mich draußen mehr als 10 Schritte zum Auto bewegt. Mein täglicher Kilometerzähler auf dem Smartphone zählt wöchentlich im Durchschnitt knapp 5 Km pro Tag. Da kann ein abendliches Fitness-Training auch ohne schlechtes Gewissen einem Glas Rotwein weichen.

Das Weglassen kann sich aber auch auf die nichtmateriellen Bereiche beziehen, zum Beispiel das Auslassen der Fensterputzerei mehrmals im Jahr oder des Bügelns von Klamottenbergen. Ich schätze Zweidrittel der Tage im Jahr fällt die leichte Trübe der Scheiben gar niemandem ernsthaft auf: die Tage in Deutschland sind oft grau und verregnet oder wie zu Winterzeit zu kurz, um nachmittags bei einer Tasse Kaffee mit dem wachen Auge über die Schmierflecken zu stoßen und dem Ärgern zu verfallen. Und – ihr glaubt nicht, wie viele schöne Sachen man tragen kann, denen das sorgfältige Aufhängen im nassen Zustand und Zusammenlegen im trockenen als Bügelersatz vollkommen ausreichen!

Weniger Geldausgeben und weniger Not-Haushaltspflichten bedeuten weniger Zwangsarbeitengehen und mehr freie Zeit füreinander oder aber mehr Zeit für sich alleine. Und an dieser Stelle kommt das Er-Leben zum Er-Strahlen über die Berge von Verpflichtungen und Notwendigkeiten. Es breitet sich für einen langen Atemzug das Gefühl von Freisinn, Freigeist und Selbstbestimmung und nicht nur bloße Fremdbestimmung. Die Ackerei im Alltag erhebt sich zur Sonnenseite des Lebens und der ungehetzte Blick durch die trüben Fensterscheiben zum Wohlgefallen.

In diesem Sinne: lasst heute mal die Wäsche Wäsche sein und genießt mit vollen Atemzügen den gut portionierten Nachmittagskuchen und Kaffee im Kreise eurer Liebsten oder im Freiflug durch die Kopfweiten.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Toni

    Genau so! Bügeln wird eh überbewertet! Schön geschrieben:)

  2. Joanna

    Danke liebe Toni, einen schönen arbeitsgeringen dritten Advent ***

Schreibe einen Kommentar