Weihnachten in anderen Umständen

Mein jüngster Sohn erhielt am 20. Dezember vom Gesundheitsamt eine Quarantäne-Auflage. Er hatte Kontakt mit einem auf COVID-19 positiv getesteten Schulfreund. Aber wer weiß, vielleicht ergriff uns das Virus auch auf anderen Wegen. Zu zweit wurden wir am 23. Dezember ebenfalls positiv getestet. Das Ergebnis erreichte uns am Morgen des 24. Meine anderen Kinder sitzen nun gezwungenermaßen mit uns für 14 Tage in Quarantäne, in häuslicher Absonderung, wenn alles gut läuft.

Es sollte ein freudiger Tag mit Oma werden, Heiligabend. Am ersten Feiertag sollten die Kinder zu ihrem Vater verreisen, endlich ein Wiedersehen, nachdem der Herbsturlaub bei Papa schon wegen der Pandemie-Auflagen nicht klappen konnte. Der Schreck, die Traurigkeit und Enttäuschung waren groß. Und mein Gefühl des Krankseins, das ich schon eine längere Weile zuvor mit mir getragen habe, wuchs darüber hinaus. Und so blieb uns nichts weiter übrig als Heiligabend mit Tränen in den Augen und schwindender Körperkraft den Weihnachtszauber alleine aufleben zu lassen, mit einem reduzierten Abendmahl, einem digitalen Besuch des Weihnachtsmanns, einem Online-Treffen mit der zerstreuten Familie, dem leeren Oma- und Gastplatz am Küchentisch und den improvisierten Auftritten zur Feier der Geburt Christi.

Und wenige Tage zuvor dachte ich noch, die neue, diesmal vierstellige Nebenkostenabrechnung 2019, wäre schon die Krönung der Negativnachrichten zum Jahresausklang.

Manchmal schnürt mich mein Leben ein in unbekannte Korsagen. Die Arbeit strengt in den Feierabend hinein an, die Kinder ziehen mit ihren Sorgen und Tageszweifeln in alle Himmelsrichtungen, mein Alleinsein zwischen den Aufgabeninseln zerrt an den Gesichtszügen in den Tränenglanz hinein. Und die Momentaufnahme in diesem Ganzen ist ein kleines Ich, das nicht daran glaubt, Spuren in anderen Menschengefühlen zu hinterlassen. Wofür das alles? Für das Anpassen der Kinder an das laufende und kränkelnde System? Für den täglich gefüllten Küchentisch und die warmen vier Wände?

Manchmal möchte man alle Tapferkeits-Anstrengungen von sich werfen und für einen Moment nicht mehr allein sein mit dem Universum Ich.

So fühlte ich mein Gedachtes in den Wochen vor dem positiven Corona-Test. Die Pandemie zog sich, zieht sich. Die Anstrengungen der Benachteiligten und direkt Betroffenen stehen ihnen mittlerweile ins Gesicht geschrieben, in die Augen und das, was hinter den Masken zu erahnen bleibt. Die negativen Nachrichtenfluten, Menschenverdummung im nahen Umfeld, die fehlende Zerstreuung durch gehobene Nichtigkeiten und Wichtigkeiten wie Kunst, Kultur und kopfentleerende Partys – das hinterlässt Altersstreifen. Möge da noch so viel Biofutter und guter Rotwein den Rest des Körpers konservieren.

So ein Kranksein in Zeiten der Feiertagserwartung, Vorfreude auf Entspannung und Sachen fern des ,Kinderkrams‘, das erdet. Und das werden nicht nur alleinerziehende Mütter und Väter verstehen.

Es blieb uns nichts anderes übrig als das kleine Zuhause mit Genesungstapete auszulegen, den Zaubertee lange ziehen zu lassen und kleine Nächstenliebe-Bekundungen mit offenem Herzen und Dankbarkeit zwischen die Aerosole strömen zu lassen. Kleine nächtliche Schmerz- und Panikattacken schoben mich zwischendurch ins bisher unbekannte Paralleluniversum. Wie die wache Nacht uns immer mehr fühlen lässt, ohne uns zu fragen. Das Leben ist endlich, nicht nur in der Theorie, in meinen Gedichten und Sehnsuchtsformeln.

Nebenbei und mit gezieltem Nachdruck sende ich funkelnde Morsezeichen ins Weltall und sehe mich an ihrem Schweif aus der Ferne beinah satt. Und gewähre dem Einkehr, was schon den ganzen Advent an unsere Haustür geklopft hat – dem Stillstand für das Wesentlichen, Stillstand zum Gesundwerden. 

In der Stille seinem Selbst mit Nachsicht begegnen. Stolz sein auf das, was man geleistet hat bis heute, mit Gefühlen jenseits von Mut und Stärke im Nacken. Sich von außen betrachten und feststellen, dass man über sich hinausgewachsen ist. Erkennen, dass das Älterwerden die äußeren kleinen Schönheiten nicht verblassen ließ, sondern auf eine neue Sichtebene gestellt hat.

Sei das Kind, das in der Ruhe der ausgestreckten Nachmittagsstunden von Unwissenheit gesegnet war. In sich versunken. In stiller Glückseligkeit.

Lebe das Bestreben, die kleine Schönheit im Grauhaufen aufblitzen zu sehen und nicht aus dem Blickfeld zu verlieren.

Sätze zum Überdauern zurechtformen und für andere in Geborgenheit packen. Sprache zum Wohlfühlen. Worte, die nur im Teilen berühren.

Heute scheinen wir gesundheitlich „über dem Berg“ zu sein. Wir schaufeln uns in wenigen Tagen wieder in die Außenwelt hindurch. Schule und Arbeit erwarten uns in welcher möglichen Form auch immer. Und ich gehe das erste Mal im Leben mit unbezahlten Rechnungen ins Neue Jahr, die trotz des Seins ganz klein sind neben dem großen Segen des Gesundwerdens! Und ich gehe mit einem noch größeren Willen und Wollen, dem Leben vor dem bloßen Funktionieren Vorzug und Vorrang zu geben. Wichtig ist der Versuch, der Angst ins Gesicht zu blicken und zu überdauern und zu bleiben im Werden.

Ich danke allen, die Nah und Fern für uns da waren in den vergangenen Wochen, mit Worten, kreativen und umsorgenden Care-Paketen, wohlwollenden Gedanken. Danke für die Geschenke, die Futterladung, das frische Gebäck, die Vitaminbombe, das Frischobst, die Blumen und die Druckerschwärze. Wenn wir es nur zulassen, sind wir nicht allein! Und diese Kinder, sie haben so viel Gefühl für die Schwächen und Erschöpfungen, die ich ihnen zwischendurch vor die Beine schmettern muss. Sie sind großartig in mein Leben gefallen.

Einander lieben ist am Ende alles was zählt. Und wer liebt, hat keine Fragen, las ich bei meinem letzten Bürobesuch vor der Erkrankung auf einem meiner Jogi-Arbeits-Teebeutel während einer weniger sinnerfüllenden Dienstbesprechung. In diesem Sinne verabschiede ich mich fraglos in die Nacht. Gute Nacht ihr Nachschwärmer, Tagträumer und Ruhegenießer.

In dunklen Zeiten hilft manchmal etwas musikalisches Feuerlicht, hier im Text von Herbert Grönemeyer verewigt:

Hilf mir, dass mein Sturm sich legt
Dass meine Flucht endet und weicht
Leih mir einen Mantel, einen Weg
Dass mir eine Richtung bleibt
Und halt mich warm
Mit deinem Feuerlicht
Und halt mich warm
Und vergiss mich nicht

Ich hab nichts mehr zu verlieren
Wenn ich nicht schaff werd ich zur Last
Such einen Platz in deinem Quartier
Und nicht was du gespart hast
Nur etwas Halt in dem Dickicht
Etwas Halt und sonst nichts

Nur eine Minute Ruhe
Nur eine stille Nacht
Die sich kümmert, mich bewacht
die um mich weiß
Und nicht schweigt

Hast du noch Liebe irgendwo
Steht vielleicht ein bisschen rum
Ich bin der ungebetene Gast,
Zersplittert und verstummt
Mein Ass im Ärmel ist durchnässt
Mein Ass im Ärmel ist mein letzter Rest

Nur eine Minute Ruhe
Nur eine stille Nacht
Die sich kümmert, mich bewacht
die um mich weiß
Und nicht schweigt

Nur eine Minute Ruhe
Nur eine stille Nacht
Die sich kümmert, mich bewacht
die um mich weiß
Und nicht schweigt

Ich such keine grüne Wiese
Ich suche einen sicheren Platz
Für meinen Ideen und meine Kraft
Eine Hand

Nur eine Minute Ruhe
Nur eine stille Nacht
Die sich kümmert, mich bewacht
die um mich weiß
Und nicht schweigt

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Matthias

    Das Feuerlicht trägt durch die Nacht. Und inzwischen jede Nacht später erwacht.

    Ihr habt es nun bald geschafft.

    1. Joanna

      Das haben wir, zwar aus der Quarantäne in den Lockdown, aber immerhin schon fast genesen!

      1. Matthias

        Das freut mich. Die Genesung schafft ihr auch. Den Lockdown erst recht. Bleibt zuversichtlich und weiterhin viel Kraft.

  2. Torsten

    Aufzeichnungen einer starken Frau!

    1. Joanna

      23/7 Stunden stark ;), zum Glück gibt´s auch die Stunden dazwischen…

  3. Tonia

    So verletzlich und so stark… so ehrlich und wahrhaftig… Love u

    1. Joanna

      Wo sind hier bloß die Umarmungs-Smileys?? Aber bald wieder in meiner vereinsamten Küche! Freue mich auf ein Wiedersehen!

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