Auf einer leeren Seite ist noch alles möglich. Manchmal würde ich gerne das Leben neu schreiben. Dasselbe Buch, dieselben dann noch leeren Buchseiten, mit Herzensblut befüllen.
Vielleicht ist es an der Zeit, die Leichen aus dem Keller zu holen und zu schauen, ob sie noch schreien. Und dann, im Wissen um ihr stillgewordenes Beisein, das Leben neu starten.
Ich erlaube dem Grauen in mir sich nicht zu verbergen. Ich gewähre den Monstern einen Augenblick der Einkehr beim Auskehr des verdammten Kellergewölbes. Wenn ich ver-rückt bin, dann wenigstens mit Anstand.
Den Blick hinter den Meeres-Horizont verlieren und bei sich bleiben. Die Scherben im Kellergewölbe umlaufen auf der Suche nach den eigenen Monsterbrocken. Die Flut wird kommen. Sie eilt jeden Nachttraum voraus. Bei aller Furcht, die beim Anblick ihrer majestätischen Grazie die Nackenhaare in die Luft schießen lässt – ein dieses jenes Blau ist atemberaubend schön. Welch eine Freude über so viel Lebendigkeit in einer großen blauen Welle. Sanftmut, Gewalt, Kraft, Unumstößliches in einem Schwall. Was ich fühle? Ich fühle alles.
Je mehr wir tagsüber imstande sind, die wesentlichen Lebensbaustellen und Begegnungsräume auszublenden und in die Schatten zu schieben, um so mehr ergreifen sie uns im eingemauerten Unterbewusstsein. Von dort aus fressen sie sich in die Traumsequenzen hindurch. Das ist unser Leben. Früher oder später flutet es uns in den prachtvollsten Blautönen. So wie mich die azurblaue Traum-Welle mit Kupfernachgeschmack.
Es ist nicht die Angst, die einen das Fürchten lehrt. Aber was ist es dann?
Kann man sich entscheiden, sein Leben von Grund auf zu ändern, ohne zu wissen, in welche Richtung man nach der Entscheidung schwimmen, tauchen, straucheln wird? Moment, sag nichts, ich weiß es – man kann. Es sind die zahlreichen Gedankenverknüpfungen, die zuvor aufgelockert, entzerrt und einzeln freigelegt werden müssen. Ich breite sie aus auf dem freien Quadratmeter inmitten meines Alltagschaos und betrachte sie mit Wohlwollen. Sie haben mir in ihrer Beschaffenheit und Anordnung viele Jahre gute Dienste beschert. Heute jedoch muss ich sie in die Luft sprengen. Und zuschauen, wie sie in einer glitzernden Staubwolke in erschwinglicher Höhe zu neuen Formationen wiederfinden. Und während über unseren Köpfen eine neue Gedankenordnung die Luftherrschaft ergreift, verweilen wir hier unten im Entzücken über den neuen milden Hohlraum in unseren Köpfen. Nichts muss wie zuvor. Alles kann anders. Wir haben es bloß vergessen.
In diesen unwirklich anmutenden Corona-Zeiten ging und geht ein mancher von uns durch seine tiefsten Täler hindurch und schabt an seinen Gefühlswänden entlang. So oft im Alleingang. Und doch auch im entfernten Spüren der anderen Nöte und Sorgen und Ängste. Unerwartet schön, wenn inmitten Fremde zu Trostbegleitern, zur Wortumarmung, zum Glitzerfunken am nächtlichen Horizont werden und werden lassen. Wenn die Stimme eines Freundes nach vielen Stunden des Durchzugs und Unterdrucks im Ohrgewölbe endlich zu einem durchdringt und in Sinnhaftigkeit erscheint. Wenn Worte vieler ineinander fließen und die unbekannten Entscheidungswege mitschmücken und emporheben in die zugehörige Dimension, die Worte weiser Dichter und Denker, die Nachbars-Phrasen und die freundschaftlichen Gesprächsnotizen. Das fegt mich in Dankbarkeit.
Können wir morgen den Tag mit einem Kaffee und Neudenken beginnen? Ich wäre soweit, auch wenn Ermattung noch am Tempo drosselt und das Bewusstsein meint, nur Sonnenenergie könne Energiezufuhr gewährleisten. Mal abgesehen davon. Ich wäre soweit.
Holen wir die Leichen aus dem Keller.
Sie ansehen, bedenken, in gewisser Weise gedenken und in Würde bestatten. Wahlweise anonym oder mit Spruch versehen in Stein gemeißelt. Dem friedlichen Zersetzen in der Erde preisgegeben oder in Lodernden Flammen den Zerfall beschleunigen.
Und dann den Gewalten des Meeres übergeben
Für einen Neuanfang, im Bewusstsein des Vergangenen.
Auf dass die Kellermonster schweigend das Neudenken begleiten und der Leichtigkeit Platz machen…
… das Neudenken in Vertrauen leise redend, wird die Leichtigkeit einen beleuchteten Pfad weisen, wohlwissend des geschenkten Vertrauens. In Anbetracht dessen werden die Kellermonster schweigend sehen und nur hin und wieder wird ein unbedeutendes, unverständliches Murmeln kaum wahrnehmbar sein. Die Leichtigkeit des Seins wird unüberhörbar und unumstößlich über jeden Zweifel erhaben sein. So richtet sich der Blick gen oben und nach vorn. Denn dort liegt die unbekannte Weite, die den Geist beflügelt …
Holen wir die Leichen aus dem Keller…
Eine gute Art zu sagen: Ich gehe los und schaue….
Deine poetische Schreibweise, die Dinge, die du denkst und fühlst darzustellen ist wie Balsam für die Seele… schwer und leicht zugleich… reflektiert und zukunftsgerichtet.
… und Kaffee ist vor 14 Uhr immer ein guter Auftakt:))
Dankeschön! Ich gehe schon mal den Kaffee erwärmen für unsere nächste Sitzung… :))