Über den Schriftsteller

Ich hörte jemanden in einem Film erklären, dass man, um Schriftsteller zu werden, kein Studium, kein Examen, keine Prüfungen ablegen müsste. Man beschließt einer zu sein und ist es von diesem Moment an. Man müsse es nur noch beweisen.

Und dieses Beweisen erfordert bloß eine wesentliche Sache, die immer und immer wieder getan werden muss: man muss schreiben. Man muss sich regelrecht zum Schreiben zwingen, wenn das Schreiben nicht von alleine gelingen will. Es heißt, es reichen täglich zehn Minuten Schreibarbeit, um nicht einzurosten, nicht aus der Übung zu kommen, nicht zu vergessen, dass man Schriftsteller sei. Gerne und schnell können aus diesen zehn Minuten 12 oder 15 oder gar mehrere Abendstunden in meditativer Versunkenheit der Schreiberei werden. Das Schreiben erfordert Disziplin, Ausdauer und irgendwo mittendrin ein blühendes Fünkchen Talent.

Nur worüber schreiben, wenn gerade in einem erschöpfte Leere herrscht, wenn die Worte keine Aneinanderreihung finden auf dem Weg in die Fingerspitzen? Worüber schreiben, wenn man das Gefühl hat, alles sei schon in Worte gedruckt, was ein Mensch in weltlichen Dimensionen und ausufernden Fantasien erdichten kann?

Ob es nun möglich ist, sich zu zwingen in Durststrecken der Schreiberei zu verfallen oder nicht, das kann ich nicht wirklich beantworten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, ich kann mir einen Schubs Richtung Tastatur geben am Abend, kann aber nicht das kreative Ventil beim Schubsen öffnen. Das entscheidet scheinbar willkürlich alleine der Türsteher zu meinem Wortschatz, der den Tag und die Emotionen, die Freude und die Erschöpfung der Stunden im Nacken und die Fäden meiner Erinnerungen um die Finger gewickelt hat. Der Fremde in mir, der mir zum Vertrauten wird und mich zu dem führt, wozu ich alleine unfähig bin.

Schreibe über Dinge, über die du nicht schreiben kannst und nicht schreiben willst. Schreibe über sie trotzdem. Manchmal hilft es, wenn man sich den ungemochten Lebensepisoden von einer ungewohnten, fremd anmutenden Seite nähert. Vielleicht von der anderen Seite der Fensterscheibe oder aus dem gegenüberliegenden Zimmer durch die offenen Türen das Schauspiel betrachtend. Betrachte dich beim Entsetzen, nähere dich deinem Weinen, deiner ungebremsten Verzweiflung im Augenblick des Geschehens. Du bist ein Mensch und als Mensch bist du durch Schweres gegangen und als Mensch bist du wieder auf der anderen Seite des Tunnels hervorgekrochen und gehst wieder erhobenen Hauptes durch dein eigenes Leben.

Oder aber: Schreibe über Dinge, über die du schreiben willst, aber gerade nicht kannst.

Der Schriftsteller schreibt, wenn es weh tut, wenn es schöntut, wenn sich gar nichts tut. Der Anlass wird meist überspitzt, der Schreibweg in Melancholie und Jubeljauchzen getränkt. Ich habe so viele Gedichte Menschen gewidmet, die ihre Spiegelung darin nicht erkannt haben, niemals.

Irgendwo in unserer goldenen Mitte entzündet sich ein kleiner Funke. Klein, unscheinbar, ja gar unsichtbar ringt er um Luft und Aufmerksamkeit, um nicht gleich wieder im Keim zu ersticken. Im Zauber des Anfangs herrscht keine Euphorie. Es ergreift mich eine Sprachlosigkeit des fernen Abschieds. Das also ist die Schwelle zum Weiter. Das ist das Nach-Vorne, wofür man sich entscheiden kann. Das ist das Freisein, das nichts und niemanden knechtet, verzerrt oder verklärt. Noch kann ich sie förmlich an mir kleben und mich umschmeicheln fühlen, meine wohlige Komfortzone im dunklen, warmweichen Bau. Sie war mir jahrelang ein Anker, ein Zufluchtsort, ein Heimatgefühl im Heimatlosen.

An der Schwelle zum Glücklichsein meldet sich die Erfahrung und will einen ungefragt eines Besseren belehren. Sie hat ja Recht. Sie war ja schließlich uneingeschränkt dabei. Und doch ist sie keine Hilfe im Findungssystem. Die Schwelle ist es. Sie bietet Halt im Nichts des Übergangs. Sie gibt ein nach vorne und ein nach hinten gleichermaßen frei und urteilt nicht. Der Mensch kann wie er ist und wird nicht, wie er sein soll. Und immer stellt er sich die Frage: Wer bin ich, wenn ich nicht in Bezug stehe? Und was davon ist Liebe? Oder bin ich es nur, die fragt?

Schreiben kann die Zeit anhalten, sie ausblenden, sie dehnen und ziehen, sie mit Vergangenheit vermischen, bis sie zu Sekunden zusammenschrumpft. Nicht vieles ist vergleichbar mit diesem Gefühl in der formbaren Zeitknete, die weder Vergangenheit noch Zukunft gewichtet.

Schreiben bewahrt mich vor Selbstauflösung. Das Leben wird im Schreibfluss umarmt und nichts darin verschwendet. Es zeigt nur Sinnhaftigkeit, auch dann, wenn die Themen in dunklen Rauchwolken der Endzeitstimmung verfallen.

Glücklicherweise muss ich niemandem beweisen, dass ich ein Schriftsteller bin. Und glücklicherweise muss du niemandem beweisen, dass du eine andere Berufung hast. Als Brüder im Geiste wissen wir um unsere Bestimmung und können uns dazu beglückwünschen. Zu wissen, was man will und ersehnt, ist wertvoller als der ganze Weg nach der Erkenntnis. Es ist immer der erste Schritt, das erste Wort, was den Weg weist und uns ins imaginäre Ziel vorausschießt. Wir dürfen nur nicht stehen bleiben im Scherbenhaufen unserer Bemühungen. Irgendeiner Hoffnung müssen wir den Raum geben uns zu berauschen, uns zu verführen, notfalls zu blenden und über eigene Abgründe zu tragen.

Also – worüber schreiben, wenn gerade in einem erschöpfte Leere herrscht? Ganz einfach – über dich, deine Träume und Sehnsüchte, deine Ängste und Sorgen, deine Umwege und Glücksflüge, dein Lieben und Leiden, dein Zweifeln und Verzweifeln, dein Menschsein. Ich will es wissen. Es wärmt mich, wenn du erzählst. Es erfreut mich, wenn ich dich lachen höre. Es berührt mich, wenn du mich mit Worten berührst.

unterwegs mit Freunden durch Stralsund, April 2022

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Matthias

    Worte können Tore öffnen und Weiten weiten

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