Ubuntu – Melancholischer Ruf nach Freiheit und Lebendigkeit

Ubuntu – I am because we are, ein Wort und ein Ausdruck, der mir in den vergangenen Wochen einige Male begegnet ist: auf Facebook zwischen Tageszitaten, in einer Fernsehdokumentation, bei einem Interview mit Nelson Mandela aus dem Jahr 2006 sowie in einem Musikvideo des neuen Albums der Band Coldplay – Everyday Life (Ende 2019). (Nicht zu verwechseln mit der freien Linux-Distribution Ubuntu ;).)

Wikipedia verrät mir Genaueres: „Ubuntu, …, bezeichnet eine afrikanische Lebensphilosophie, die im alltäglichen Leben aus afrikanischen Überlieferungen heraus praktiziert wird. Das Wort Ubuntu kommt aus den Bantusprachen der Zulu und der Xhosa und bedeutet in etwa „Menschlichkeit“, „Nächstenliebe“ und „Gemeinsinn“ sowie die Erfahrung und das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist.“

Ubuntu ist eine afrikanische Philosophie der Verbundenheit, eine soziale Philosophie des Wir. Die Gruppe ist darin das Fundament, auf dem sich das Individuum entfalten kann. Es ist kein Gegensatz zur individuellen Freiheit. Es ist die Kunst des Menschseins, die Kraft, man selbst zu sein. Der Kontakt und gegenseitige Abhängigkeit zueinander macht uns laut dieser Philosophie reicher, das unabhängig von Herkunft und Stand.

In der ,modernen Welt‘ heute scheint sich mehr als oft jeder selbst der Nächste zu sein. Gastfreundlichkeit wird oft nur herausgekramt, wenn eine Gegenleistung zu erwarten ist, wenn man mal wieder „an der Reihe ist“. Werte wie Respekt und Anerkennung, Achtung der Menschenwürde und das Bestreben nach einer harmonischen und friedlichen Gesellschaft sind oft nur schöne, herausragende Worte, denen das Leben nur zum Vorzeigen eingehaucht wird.

Und doch gibt es sie, die Inseln der Menschlichkeit, die Plattform für menschliche Begegnungen, manchmal bloß in der Begegnung zwei Fremder im Flur zwischen den Büros, in einem kurzen Strahlen und Grüßen. Manchmal bloß in einer freundschaftlichen Umarmung und dem innigen Wunsch, dass es diesem Freund jetzt und Morgen gut gehen möge. Diese kleinen Inseln streuen den Glitzer auf die dunklen Flecken des menschlichen Egoismus und schenken Zuversicht.

Zuweilen werden uns auch größere Geschenke gemacht, oft unerwartet und unverhofft, Geschenke in einer Gemeinschaft. Aus diesen Geschenken  (er)wächst im Laufe der Lebensjahre der Glaube an ein „universelles Band des Teilens, das alles Menschliche verbindet“.

Manchmal reicht man alleine nicht aus, um sich aus einem Tief, aus einem dunklen Glaubenssatz der Kindheitstage, der alten Generationen emporzuheben. Dem einen wird über Jahrzehnte eingeredet, für etwas oder jemanden nicht gut genug zu sein, etwas nicht schaffen zu können, nicht zu genügen. Ein anderer geht unter der Last seiner Sorgen zu Boden und kann keinen Akku mehr aufladen, keinen Weg mehr sehen, um weiter für sich und seine Nächsten funktionieren zu können. Dann stehen wir als Boten dieser fremd anmutenden Lebensphilosophie da, dann sind wir in der Verantwortung des Individuums innerhalb seiner Gesellschaft gefragt.

Ich erinnere mich stets sehr herzlich an meine kurze und bewegende Freundschaft mit meiner kenianischen Freundin Judy. Sie lebte einige Jahre in Deutschland, bevor sie das Land wieder verließ, um in den Armen und im Beisein ihrer Familie in Kenia sich der Krankheit Krebs zu ergeben. Sie trug Ubuntu in sich, sie lebte das nach Außen, sie zehrte davon in ihrem Inneren, auch dann, wenn wenig Licht sie im Außen umschmeichelte. Ich werde ihre freundschaftlichen Berührungen niemals vergessen, die physischen waren in Einklang mit den psychischen, wenn sie sie vergab. Und das tat sie bei jeder Gelegenheit, die sich ihr bot. Berührt zu werden ohne den Anflug von Peinlichkeit, ohne den Wunsch der Distanzsuche oder Unwohlsein – das war mir unter ,erwachsenen Freunden‘ neu. Judy strahlte stets über beide Ohren, wenn sie von ihrem Kenia erzählte und beendete die Erzählungen auch stets mit den Worten: „Du musst mit mir nach Kenia fahren!“

Ubuntu: Ich bin, weil wir sind. Ich bin jemand, weil du bist. Weniger – Ich denke also bin ich, mehr – Ich fühle also bin ich, Ich nehme teil also bin ich.

Heute ist Ubuntu auch in Afrika ein Mythos, der Neuerwachen muss. Aber der Geist ist überall spürbar. Es bleibt eine Sache des Herzens, die nie untergehen kann.

Heute denke ich – Kenia ist für mich noch weit weg, aber ein Stück davon kann ich hier hinaustragen und wie Judy versuchen meine eigene Persönlichkeit und die Gemeinschaft in engere Beziehung zueinander zu bringen. Aus Erfahrung kann ich sagen – diese Lebensfreude wirkt ansteckend!

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Matthias

    Diese Einstellung zum Leben, hat man oder eben nicht.

    Vor ein paar Tagen las ich die Überschrift eines Artikels: „Freundlichkeit: Warum sie die neue Achtsamkeit wird“. Ich bin nach wie vor irritiert darüber. Wir tragen Freundlichkeit, Zugewandtheit in uns. Der Grad dessen was wir bereit sind zu tun ist etwas anderes.

    Wenn ich Menschen auf der Straße grüsse, dann begegne ich Ihnen. Auch jene die ich nicht so gern um mich habe, zolle ich Respekt. Verhalten. Wie oft fühle ich mich unwohl dabei mit den dunklen Gedanken Ihnen doch lieber aus dem Weg gehen zu wollen.

    Aber von jeher ist es mir wichtig, mich als kleines Mitglied der Gesellschaft zu sehen. Ich halte diese auch zusammen, unbedeutend, aber in der Gemeinschaft der Einzelnen unendlich wichtig.

    Nicht viele Menschen können mein Handeln verstehen. Ich wäge nicht wirklich ab, habe ich Vertrauen gehe ich weit, auch manchmal zu weit.

    Aber im schmerzerfüllten Grenzen ausloten erfreue ich mich am Lachen und Strahlen des Lebens von Menschen denen ich begegnen durfte.

    Und Mensch und Tier wissen ganz genau ob das was man sagt und tut aus dem Innersten kommt oder nur trainiert, erlernt oder sogar aufgesetzt ist.

    Achtsamkeit dem anderen gegenüber fängt bei einem selbst an …

    1. Joanna

      …ob man wirklich zu weit gehen kann, wenn Vertrauen da ist? Und lässt sich Achtsamkeit erlernen und trainieren? Und wenn ja, dann ist auch dies etwas Gutes, glaube ich. Danke für den ausführlichen fast schon Blog-Eintrag für sich 😉

  2. Tonia Willumat

    Eindrucksvoll! Läd zum nachdenken ein…
    Ich bin froh von dir lesen zu können aber unendlich dankbar, dich in meinem Leben zu haben… den du strahlst es auch aus dieses Ubuntu 😉

    1. Joanna

      Danke für das Guten-Abend-Lächeln, ich habe den Verdacht, wir stecken uns gegenseitig damit an! In diesem Sinne freue ich mich auf die nächsten Begegnungen mit und ohne der Kinderschar…

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