Sehnsuchtsort Meer mit Sprachstücken untermalt

Und manchmal, bin ich wirr. Und meine Sprache drückt sich nur in Phrasen, in kleinen Haikus und Zitaten ferner Seelen aus. Und manchmal, schreibe ich diese Wirrnis trotzdem runter und flechte ihr nach dem Runterschreiben einen roten Faden, oder eher einen rosa Faden hindurch und hinein ins grobe Verständnis. Für mich und für Lesende.

Wie das Laufen und das Stehen die Rastlosigkeit stürmen und den Stillstand bändigen und immer und immer wieder in mir vereinen.

Wie das Schreiben und das Atmen mein Leben Schreibzug um Atemzug retten.

Wie sie mich inspirieren, die sprechenden Menschen, die nach Licht in ihrer Wahrheit ringen.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, soll Martin Buber gesagt haben. Wir haben immer die Wahl, zwischen Aneinander-Vorbeistreifen und Miteinander-Ringen, um Halt, um Verständnis, um Einsicht und Lebensfreude. Zwischen oberflächlicher Klarheit und…

Ich war am Meer, zusammen mit meinen drei Lieblingsmenschen Sohn, Tochter und Sohn. Es war sehr schön. Das Meer bleibt mein Sehnsuchtsort. Und doch, es ist, wie es ist und es klarte sich noch mehr hinaus – „Happyness is only real when shared“ („Glück ist nur echt, wenn man es teilt“, Zitat aus dem Film „Into the wild“). Und da scheint es nicht zu reichen, das Glück der gesehenen Meeres-Schönheit in den sozialen Medien mithilfe der Fotoaufnahmen zu teilen. Nein, das reicht nicht.

Wir leben im Herzen unserer eigenen Intimität. Und doch bleibt uns ihre Unendlichkeit fremd. Wir möchten uns wenigstens einmal im Leben in einer anderen Seele spiegeln, uns in ihr wiedererkennen, mich in ihr (wieder) erkennen.

Wenn alles in Bruchstücken liegt, wo ist dann der rote Faden?

Sprache kann so unendlich vieles, und doch erlöst sie uns nicht und auch sie ersetzt nicht die leibhaftige Begegnung.

Und manchmal, da drückt Sprache bloß Sprachlosigkeit aus, trotz aller Glücksmomente. Dann surren verstaubte Lyriksätze aus meinem alten Jahrhundert durch die Hirnkanäle und werfen mit Spracherinnerungen ein Durcheinander. Und ich denke an „Tanz der Moleküle.“ Und ich greife nach der alten Blättersammlung des vergangenen Jahrhunderts mit meinen ersten Ausdrucken, titellos:

Schreiben bewahrt mich vor Selbstauflösung,
ein kleiner Schritt entsteht –
                                    mich euch offenbaren,
                                    die ihr mit euren Sinnen zu erkennen sucht,
eine kleine Entlastung,
angestaute Sprachlosigkeit
vermischt mit Lebensatem –
                                    ein Wort entsteht.
                                    lindert den Brechreiz,
                                    der zur Abenddämmerung die Kehle zu würgen beginnt,
angestaute Sprachlosigkeit.

Ein Schreibfluss entsteht – der Ausnahmezustand,
danach –                                Erkenntnis, Ermattung, Resignation,
die Grenzen noch lange nicht erreicht.

Ich vermag nicht dir eine Wahrheit zu zeigen!
Haben schon zu viele danach gefragt?
Du bist auch nicht die Antwort auf mein Fragen.

Zwanzig Jahre später und jetzt frage ich mich, was ich mich schon mal fragte: Wenn alles in Bruchstücken liegt, wo ist dann der rote Faden?

Mein Meer war erfüllt von Familienstimmung. Meine Kinder harmonierten oft auf neue Weise, lernten sich besser kennen, ihren jeweiligen Familienhintergrund, ihr Anderssein und ihre große Zugehörigkeit. Sie wuchsen in den zehn Meertagen einander näher, weiteten, vertieften und glätteten das gemeinsame Fundament. Jeder bepackt mit seinen Bruchstücken, Bruchstück Familie, Freunde, Mama, Papa, Bruder, Schwester, Halb-, Stief- und Nichts-Familie. Bruchstücke, die ihren Lebensursprug ausmachen, ihren Lebensweg bis hierher gepflastert haben und sich in ihre nahe Zukunft hineinschlängeln vor unser aller Augen. Kein roter Faden. Oder doch? Ein Schicksal, ein Urvertrauen, ein Familiengefühl oder das globale Menschsein? Wie auch immer es benannt werden mag, vor allem legt sich der rote Faden zwischen und unter und über uns, wenn wir einander nicht denken sondern fühlen. Wenn wir zu viert nach einem langen Strand-Wander-Tag beim Abendessen sitzen, reden, lachen, erschöpft und beseelt sind, nicht denken, sondern einander fühlen dominieren lassen können. Die Bruchstücke mit ihren abgerundeten Ecken und Kanten, der rote Faden, der längst nicht mehr sehnig sondern flauschig ist und eine Welt, die am Abendtisch im fremd anmutenden Ferienhaus unumstößlich ist. Unsere gemeinsame Welt voller Bruchstücke Lebendigkeit.

Und so, wie meine Kinder ihre Zugehörigkeit miteinander und zueinander immer und immer wieder neu finden und formatieren, so können das auch meine wirren Gedanken- und Wortfetzen, wenn man sie nur lässt. Wenn man ihnen nur die Zeit und Ruhe ermöglicht. Wenn ich ihnen und mir nur die Zeit gebe.

Wie wenig Lärm machen dann die wirklichen Wunder.

Familie am Strand in Heringsdorf, Juli 2020
Hafenmole in Swinemünde, Polen, Juli 2020

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