Momente der Sprache

Wenn ich die Glücksgeister hinaufbeschwöre
kommen sie in Ketten aneinander gefesselt
und verteilen glänzende Schuppen auf unseren weit ausgebreiteten Flügeln.
Wenn ich die Glücksfeen hinterher schicke
kommen sie mit Spinnweben aneinander geklebt
und kratzen die Glücksschuppen von unseren zum Abflug bereitstehenden Flügeln.
Berauscht von musikalischen Sphären fremder Welten
erblinde ich im Versuch abzuheben, die Füße aus dem schwarzen, klebrigen Teer der Menschenwege zu befreien.
Eigroße Teerblasen tropfen mit Schall auf die glühende Straße, während die Sehkraft im Himmelsdunst bereitwillig hinfort schwindet.
Vom Sehen getäuscht, des Bodens beraubt, tauche ich ein in Melodien, die nie mein sein werden und keine Glücksritter in die Erdumlaufbahn entlassen können.
Was bleibt, wenn nichts mehr zum Greifen erscheint?
Leichten Fußes betrete ich den Rückweg an. Mein Mauerwerk leuchtet aus dem Bunt der Jahre hinaus in die Welt hinter mir.
„Es macht nichts, dass du müde bist“, sagt der fremde Wegbegleiter, „Ich sehe überall Atem.“

So vieles, was der Mensch einem nicht sagt, meistens nicht mal sich selber. So vieles, was wir verpassen, weil wir uns hinwegschweigen aus Momenten, wo Sprache uns im Inneren anschreit und sich selbst gebären möchte. Wir laufen aneinander vorbei, lächeln uns durch den Tag hindurch und erblassen hinter verschlossener Tür im Alleinsein. Als ob wir ewig leben könnten, dieses eine Mal vor dem neuen Mal. Als ob sich die Gelegenheiten für Sprache täglich vor unsere Füße ausbreiten und zum Aufheben anbieten würden.

Es wird sie nur ein paar Mal geben in diesem deinem Leben jetzt, die Sekunden der Sprache, die direkten Sichtwege zum Gegenüber, zum Nächsten, zum Liebsten. Jedes Zögern verrückt uns aus der Sichtachse in eigene Weiten, die sich jeder Begegnung und Berührung entziehen.

Sprache, das ist das Resultat unserer Töne, die die Luft zum Schwingen bringen. Die entstehenden Schallwellen treten hinaus in dunkel werdende Unendlichkeiten. Nur zuweilen treten sie auf ein Hindernis und werden in seiner eigenen Sprache wieder zurück geworfen. Sie verbinden sich und erklingen in der Melodie des Lebens. Sie erklingen.

Und während ich das schreibe, denke und fühle, stelle ich mir vor, wie ein bekannter oder mir fremder Mensch eine Schublade in seinem Inneren öffnet, die den verpassten Moment der Sprache in einem gewaltigen, realen Bild festhält. Der verpasste Moment, die verpasste Chance, das unwiederbringlich Verlorene in der Stille der Vergangenheit. Und jedes „Der Weg ist das Ziel“ wird im Augenblick der Bildbeschauung ausgesetzt und nichtig.
Solange wir aber atmen, mit welchen Mauern im Schlepptau auch immer beladen, solange ist uns die Möglichkeit der Sprache gegeben. Überall Atem. Sagen wir es hinaus zu dem, dem die Worte und ihre Bedeutung gelten und gewidmet sind, der nah genug ist, uns ungeschminkt zu erkennen und nicht zu erschrecken vor dem Klang der unbekannten Melodien.

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