Liebe in Zeiten der Zeitknappheit

Zuerst wollte ich diesen Abschnitt mit sex, drugs and rock ‘n roll betiteln. Aber dann hörte ich die Worte zwischen meinen Ohren tuscheln und musste feststellen, dass das gerade nicht mein Humor ist. Also verpacke ich diese Humorabteilung in weniger greifbare Sphären:

Wir sagen uns Dunkles, wir weisen uns ins Licht, wir kreisen am Abgrund, wir halten uns in Sicht. Wir ziehen Gefühle aus dunklen Vorschlagkammern und hauchen ihnen wieder Lebensatem ein. In der Nichtigkeit unseres Seins graben wir uns einen Zauberplatz in unsere goldene Mitte. Dort finden wir einander in freudiger Erregung der Begegnung im Geiste entgegenfiebernd. Mit Sprache zerschmettern wir die Abgründe zwischen unseren Körpern auf dem langen Fußmarsch dazwischen. Im gemeinsam einsam werden wir weniger allein, werden wir weniger laut, werden wir weniger. Und der verbliebene Rest nach dem Zwiebelschälen ist vollkommen (und) genug.

Liebe in Zeiten der Zeitknappheit will nicht weniger als zuvor. Sie schält sich nur gefühlt langsamer, sie wirft ihre Zwiebelschichten etwas eleganter zu Boden, oft unerwartet und gerne auch erwartet lange nicht. Und manchmal vergisst sie vor lauter Staunen die Eleganz ins Licht zu setzen und fällt inmitten eines Vollchaostages allen Beteiligten über den Nacken. Sie hat keinen Platz für Nichtigkeiten, für Halbwahrheiten oder Wortfindungsstörungen. Die Knappheit des Zu-wenig möchte sie am liebsten mit bloßer Direktheit stopfen, um nicht zu vergeuden. Genügsam und ungesättigt zugleich legt sie wenig Raum für Eventualitäten bereit. Die Stille in ihr ist frei von Zweifel.

Ich glaube, Eltern oder Paare können ihren Kindern kaum etwas schöneres von dieser Beziehungswelt der Erwachsenen schenken als das haftenbleibende Bild einer Umarmung, einer Berührung, eines Kusses im Echtraum Liebe. Zu sehen, dass eine solche Welt existiert, gelebt wird und ohne das Zutun oder das Nichtstun der Kinder ihr Eigenleben schafft ist etwas wunderbares und wundersames zugleich. Es hallt nach, weit in die Jugendjahre der Kinder und darüber hinaus. Es schleicht sich in ihren genetischen Kodex hinein und prägt über Generationen ein Liebesvertrauen.

Ich hoffe, ich habe meinen Kindern ein solches Bild in ihrer weit vergangen Zeit schenken können. Und mindestens genau so hoffe ich im Stillen, ich werde es ihnen noch schenken können in einer greifbaren Zukunft. Keine Schönmalerei aus bunten Romanen oder Liebesfilmen, keine faltenlosen Gesichter, nur die Einfachheit und den Reichtum der sprechenden Bilder.

Es gibt ein wundervolles Gedicht von Karl Krolow, das diesen Raum einzufangen versucht zwischen seinen Zeilen:

„Ziemlich viel Glück
Gehört dazu,
Dass ein Körper auf der Luft
Zu schweben beginne
Mit Brust, Achsel und Knie,
Und auf dieser Luft
Einem anderen begegne
Wie er
Unterwegs.
Die Atmosphäre macht
Zwei innige Torsen aus ihnen.
Unbemerkt beschreibt ihr Entzücken
Zärtliche Linien in Baumkronen.
Eine ganze Zeit noch
Ist ihr Flüstern zu vernehmen,
Und wie sie einander
Das schenken,
Was leicht an ihnen ist.
Glücklichsein beginnt immer
Ein wenig über der Erde.
Aber niemand hat es beobachten können.“

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