Schreiben ohne nachzudenken über das, was mich zum Denken bewegt, was tagein, tagaus im Gedankengut rumschwirrt. Schreiben ohne Glanz und Glamour, ohne unerschwingliche Höhen und Tiefen, die für kribbelnde Spannung im Erzählfluss sorgen könnten. Sich erinnern im Erinnern und die Bilder immer wieder klar sehen, trotz all der Jahre dazwischen. Alles was ich brauche für den nächsten Satz ist diese klare Sicht. Und gelegentlich die dritte Person, wenn es zu kompliziert, zu schmerzvoll, zu intensiv, zu lau, zu platt wird. Dann fällt ihr das Beschreiben fremder Zustände, die ganz die ihren sind, leichter. Dann gleitet der Blick unbedacht die Wände ihrer Gemächer entlang und tastet sich an den altbekannten Farben, Formen und Gerüchen entlang. Sie riechen nach der verlorenen Heimat der Kindheit, die auch jene vermissen, die nie einen Bodenfleck Heimat nennen konnten.
(K)Eine Zeit zum Träumen – schrieb ich vor Kurzem in meinen Twitter Account hinein und eine Unbekannte kommentierte den kurzen Tweet mit dem Alternativvorschlag – K(l)Eine Zeit zum Träumen. Und genauso empfinde ich es gerade in unseren vier Wänden zuhause. Corona die zweite Schleife nach über einem Jahr Pause bremste uns Ende Februar erneut aus und zieht sich standhaft auch durch diese Woche hindurch. Dass es mich immer wieder eine große Portion Energie kostet, das Haus zu hüten, während draußen in naher Ferne kleine Abenteuer auf uns warten, ist kein Geheimnis. Dass aber auch ich immer cooler werde in der Annahme solcher von außen auferlegter Reduzierungen, überraschte am Ende selbst mich. Vermutlich hängt dies mit den eingebildeten Vorboten der Perimenopause, wahrscheinlicher jedoch mit einer gewissen Gleichgültigkeit aller Banalitäten gegenüber in Anbetracht der menschlichen Endlichkeit und der Unendlichkeit der menschlichen Dummheit zusammen, die die Weltpolitik uns mal wieder in die Medienwelt spielt und spiegelt.
Meine kleine Welt zum Träumen, abgeschirmt von dem normalen Wahnsinn des täglichen Ablaufs, der nur wenige Meter vor unseren Haustüren entfernt sein Unwesen treibt. Abgeschirmt von dem unnormalen Wahnsinn, der nur wenige Meter vor unseren Haustüren zu ergreifen ist, und nicht bloß gespielt, gespiegelt oder erdichtet ist.
Es ist still, wenn man nur zuhört, schaut und die Dinge nicht durch das eigene Denken verklärt. Schon Wochen vor dem neuen Ausbruch des Krieges in der Ukraine bemerkte ich eine wachere Aufmerksamkeit bei meinen abendlichen Spaziergängen, die klare Sicht, den geschärften Gehörsinn, die Stille der Gedanken währenddessen. Die Traurigkeit über das Alleinsein kam zu einer ungewohnte Ruhe, wurde anders angenommen als zuvor. Ich weiß, dass dieser ausbalancierte Zustand zwischen dem ruhelosen Verlangen und Sich-mit-dem-Ist-Zustand zufrieden geben auch nur ein Momentzustand ist. Der nächste kleine Sturm wird alle dünnen und dickeren Äste meines Baumes zum Straucheln und Wackeln bringen und mich nach jedem Halt im Bodenlosen ringen lassen. Doch ich bin nicht nur die kleinen und größeren Baumarme und Äste. Ich bin auch der Stamm, der schon lange Wurzeln schlägt und an die eigene Unerschütterlichkeit angefangen hat zu glauben.
Das mit dem Loslassen und Annehmen ist bei weitem die größte Herausforderung für uns Menschen. Sein und Sein lassen. Sich immer und immer wieder frei schaufeln von Verklärungen, Verirrungen und mit all den Lasten des Fühlens ins klare Sichtfeld setzen und annehmen.
Wie still es ist, wenn man nur zuhört, schaut und keine alten Urteile aus den Schränken herauskramt. Wie still wird unser Leiden, wenn wir Häuser im Fernsehen brennen, Menschen flüchten und Kinder an den Zugfenstern beim Abschied weinen sehen. All ihre Not, die nun beinahe rund um die Uhr live verfolgt werden kann. Als ob die verwüsteten, dampfenden Straßen in unsere Wohnzimmer hineinreichen könnten und die jungen Soldatentruppen über unser Sofa walzen müssten. Dabei haben wir doch schon wieder Corona auf der Couch sitzen, die Klimakrise noch im Hinterkopf wuchern und gestapelt all die kleinen und wachsenden Kinder(Sorgen).
Das kleine Träumen in diesen unwirklichen, bizarren Schreckens-Zeiten. Es will nicht immer gelingen. Der Geist ist frei und doch gezähmt, um Ruhe zu bewahren. Welche Zuflucht bleibt? Welche Kammern bieten Obdach für Stunden des Rückzugs zum Kräftesammeln?
Ich vermisse so vieles, was sich früher auch in fremden Häusern wohlig nach Heimat angefühlt hat. Die vielen Abende und Nächte im Zimmer meiner besten deutsch-italienischen Freundin in der Eifel, die weiten Briefwelten mit meiner besten polnischen Freundin ein langes Jahrzehnt meiner Jugend, die unzähligen Autofahrten mit der treffendsten musikalischen Untermalung an der Seite meines besten deutsch-polnischen Freundes während der Berliner Studienjahre. Wie glücklich wir doch waren in unserem großen Unglück über all die Ungereimtheiten unseres jungen Lebens. Heute begleitet mich keiner mehr von ihnen so intensiv, heute teilen wir keine großen Welten, keine Träume und keine lodernde freundschaftliche Liebe mehr. Wir haben uns gegenseitig verlassen, andere Freundschaften sind gewachsen. Die Leere aber auch die Wärme jener Erinnerungen der verlorengegangener Freundschaften sind geblieben. Wie eine kleine verlorene Heimat.
Ich bin ein Kind der vielen Wohnungs- und Ortswechsel, in mir brannte sich ein Loch des Verlorenseins ein. Seine Hitze glüht unermüdet nach und verkapselt. Wie müssen sich Menschen fühlen, die mit physischer Gewalt entwurzelt, vertrieben, für lange oder immer heimatlos oder heimatersehnend werden? Welch große Last drückt auf die Schultern der Eltern oder nur Mütter, die weggehen, um zu bleiben und alles zurücklassen, was ihre Kinder nachts in Sicherheit zu betten schien und durch die kleinen Alpträume in den nächsten Sonnentag schleuste?
Wut und Traurigkeit, sie reichen sich im Kampf mit den Gemütern immer die Hand. Bist du wütend, steckt eine tiefe Traurigkeit dahinter, die anders nicht zum Ausdruck kommen kann in diesem Re-Aktionsmoment. Und die Traurigkeit – sie sumpft im weiten Salzwasser vor sich hin, schwer, träge, und fern jeder trostspendenden Träne.
Manche Traurigkeit mündet in Melancholie und lässt uns Kunst erschaffen, und wenn es nur ein kunstvoller Twitter-Tweet ist oder ein paar Sätze auf meinem digitalen Blatt. Und manche Erinnerung spendet Trost und warme Ecken, wo nur Kälte wütet und Hoffnungslosigkeit die Rückkehr ins Paradies pflastert. Sich erinnern an das, was dir einst Heimat war und in dunklen Zeiten Heimat ist, kann dir eine Oase eines Lebenselixiers werden.
Am Ende passt dein Leben in einen Schuhkarton. Der Rest sind Gedanken in Köpfen der Hinterbliebenen. Sieh zu, dass sie eine klare Sicht bekommen. Vielleicht kannst auch du zum Heimatgefühl für jemanden werden und Trost in düsteren Stunden streuen.

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Schön, dich zu lesen. Ein ums andere Mal. ?