Im Leben geht es vermutlich nicht darum, sich zu finden, sondern darum, sich zu erschaffen. Wie so oft weiß ich nicht mehr, woher ich diesen Satz habe. Ich weiß aber, dass er nun auch meiner geworden ist.
Ruhig wie ein Wald, mit Feuer im Herzen, um Funken zu versprühen zu seiner Zeit. Es kommt alles zu seiner Zeit.
Ruhig wie ein Wald aber in sich ein Feuer tragend. So fühle ich mich am wohlsten. So und mit vor Lachen entzerrten Gesichtszügen.
Wenn ich gute Musik in einer ruhigen Stunde in meinem Feierabendmodus höre, öffnet sich in mir eine weite, lichtdurchflutete Halle, die Staubpartikel werden vom Boden emporgefegt, die Raumdecke gibt in absoluter Transparenz den Himmel frei und ich werde wissentlich in kindliches Staunen versetzt. Dann ist jedes mich ereilende Gefühl willkommen und wird irgendwo zwischen Brustkorb und Seelenloch mit Lebendigkeit gespeist. Trauer, Freude, Vermissen, Erinnern – all das darf mich dann umnachten, zum Strahlen, zum Weinen bringen. Und keines dieser Emotionen ist minderwertiger, alle sind wahrhaftig in dem, was sie sind.
Wenn man wahrhaftig geliebt hat, kann man das Lieben nicht einfach unterbinden, beenden, sich verkneifen. Dann liebt man von hier bis zum Mond und wieder zurück und nimmt sich alle Zeit der Welt, diese Liebe nach Beziehungsende weiter zu fühlen. Solange es auch dauern will. Solange es dauern muss. Bis diese Liebe einen frei gibt. Ich glaube ein paar Menschen zu kennen, denen eine solche Zeitreise guttun würde.
Ich habe einige Male selbst erlebt und viele Male beobachtet, wie nach Beziehungsende ein Partner gleich nach dem nächsten zwischenmenschlichen Abenteuer griff. Kaum war die eine monogame Verbundenheit ins Aus verbannt, eröffnete sich um die Ecke die nächste Gelegenheit, sich kopfüber in neue Verflechtungen zu werfen. Bloß nicht allein sein, nur nicht den Schmerz der Trennung spüren und vor allem – bloß nicht dem Spiegelbild dessen begegnen, der zurückgeblieben ist. Oft genug ist dann dem einen Partner das Aus der Beziehung noch gar nicht bewusst oder die finale Nachricht noch nicht mal zu Augen oder Ohren gekommen. Und schon schlendert der neue Ex mit der neuen Unbekannten Arm in Arm den Bordstein entlang, als ob die nahe Vergangenheit keine Schatten und Verwunderungen darüber werfen würde. Ich will nicht behaupten, dass das ein männlicher Charakterzug sei, die Verdrängung des Ungelösten im Herzen. Und doch flattern mir gerade nur Männerbilder vors geistige Auge.
Nun bin ich keine Beziehungsexpertin, auch kein Vorbild oder Besserkenner, wenn es um Partnerschaften geht. Ja, vermutlich bin ich eher das Gegenteil mit meinen wenigen längeren Beziehungen und meiner mangelnden oder wenig ausgeprägten Bereitschaft zu (emotionalen) Kompromissen. Ich werde es trotzdem oder gerade deshalb niemals verstehen, wie man heute von Liebe sprechen und morgen ein neues, gleichfalls intensives Lieben erleben kann. Was war dann das unmittelbar davor? Wo hörte es auf, echt zu sein? Oder aber – an welchem Punkt haben wir uns so sehr verändert, dass das Gegenüber nicht mehr mit uns kontaktieren konnte? Haben wir bloß die Vorstellungen voneinander geliebt und nicht das Herz dahinter?
Ich glaube eine Schale möchte gesprengt werden. Weil sonst alles Denken vergebens dem Kreislauf des Eis zu entkommen versuchen wird. Immer und immer wieder. Ich habe schon über jeden Trennungsschmerz im Leben geschrieben, der mir bekannt ist. Und auch über den, den andere vor sich trugen in meinem Blickfeld. Ich gebe der Zeit alle Schlüssel und lege mich in ihre Hand. Eine Schale möchte gesprengt werden.
Es bedeutet alles nichts, wenn es nicht wahrhaftig ist.
Ich kann Menschen nur noch begegnen, wenn sie einem auch direkt in die Augen schauen können, ohne den Blick verlegen oder unbeherrscht zur Seite zu schwenken. Das kann ein Kassierer sein, ein Lehrer, der Busfahrer oder eine Kollegin beim Verpacken der Werbeflyer für die nächste Veranstaltung im Büro. Es mag ein ein-Satz-smalltalk, ein längerer Monolog oder eine anregende abendliche Konversation sein, die Länge des Gesprächs, der Bekanntschaft oder die Umstände spielen dabei keine Rolle. Entweder gelingt uns eine Begegnung im Geiste oder aber es bleibt an der Schwelle zu dieser stecken ohne Aussicht auf Veränderung.
Wir stecken in Fantasien der Wiederholungen und leben den Winter 2022 aus den Schatten vom Winter 2020. Ich bin seit fast zwei Jahren aufs Eis gelegt und bekomme bei den ersten Versuchen der Aufwärmung im Sonnenlicht pandemische Zustände vor die Füße geworfen. Ich weiß, wir sind es.
Die Kunst ist, nicht stehen zu bleiben, nicht lange zurückzublicken. Mein Vater sagte gerne, Stillstand sei der Tod. Mir wird es allerdings zur Kunst, nicht stehen zu bleiben und trotzdem jedem Gefühl den Stillstand zu gewähren, während sich die Welt um alles weiterdreht, sich das Alter in einem einschreibt und die Geschichten verändern.
All der Kram, den wir tagsüber erledigen müssen, wollen, uns aus welchen Gründen auch immer vorgenommen haben. So unglaublich vieles davon hat keine Bedeutung, ist belanglos und nichtig. Das zerdrückt mir an vielen Tagen das Herz. Nicht weil ich total erschöpft bin vom Es-abarbeiten, sondern vielmehr, weil ich den Sand in meiner Lebensuhr währenddessen ablaufen sehe. Und wenn ich währenddessen zu stumm und taub und blind bin, um mir das ins Bewusstsein zu rufen, dann holt mich das Bild am späten Abend in der Ruhe der anbrechenden Nacht ein. Es fegt mir mit leichtem Entsetzen die Tagesmüdigkeit von der Seele und ermahnt mich, noch wenigstens ein paar Sätze, ein paar sinnstiftende Zeilen zu schreiben.
Es ist wie in meinem Lieblingslied der Sängerin Astrid North – Lightning: I feel like I´m one step away from lightning. I know, I´m lucky but I´m frightened. (Ich fühle mich, als ob ich einen Schritt vom Blitzeinschlag entfernt stehe. Ich weiß, dass ich mich glücklich schätzen kann, aber ich habe Angst.)
Ich lebe im Glück und durchlebe zu Lebzeiten den Abschied vom Leben in einer Dimension, die weder Leben noch Tod ist. Es bleibt eine tief verwurzelte Einsamkeit aus fernen oder anderen Leben, die nur wenige Male mit eher unbekannten und doch spürbar nahen anderen Seelen Entsprechung fand, beim Vorbeistreifen eine Ahnung der eigentlichen Bedeutung bekommen hat. Es waren Menschen, die schon gegangen sind und die schon zu Lebzeiten ihren Tod im Nacken zu spüren schienen. Das erhob sie einige Millimeter über den Nullpunkt und ließ sie bei aller Einkehr, in der sie zu leben fähig waren, für mein Sichtfeld alle anderen überragen. Ich würde ihnen heute gerne aus dieser Welt heraus sagen: Ich kenne dieses Gefühl auch. Ich weiß, wie sich diese Welt dazwischen anfühlen kann und was sie zu Lebzeiten fordert. Und noch viel mehr sehne ich mich nach einer Stimme aus dem Jenseits, die mir zuflüstert: Du bist damit nicht allein.
Währenddessen geht der Tod Seiltanzen mit meinem Notenblatt. Und währenddessen forme ich wieder helfende Seiltänze in meine Notenblätter. Wir verändern die Beleuchtung, ordern andere Musik für die lahmen Füße und bringen vergessene Schritte in die alte Spur. Der Tod wird leicht in meinem Nacken. Ich habe dich in Endlosschleife.

Abschließen und sich erst dann Neuem zuwenden.
Erledigt und in Arbeit. ?
Wie immer dankbar für deine Gedanken!
Danke an meine kleine Leserschaft für das Feedback. Macht Freude zu erfahren, dass sich auch andere durch die Wörter lesen. Schönes Sonnen-Wochenende!