Der Musik verfallen, heute mit Alice Phoebe Lou

Ich war heute nach langen und schwer ausgedehnten Monaten endlich wieder auf einem Live-Konzert! Mittags zwischen Mama-Besuch, Kind-Besuch und Aufräumnotwendigkeiten öffnete ich meinen Instagram-Account und erblickte im Schnellklicken die Ankündigung für ein Straßenkonzert der wunderbaren Alice Phoebe Lou. Erst dachte ich: Super, aber Mist, schaffe ich eh nicht, bin belegt und unabdingbar. Durch glückliche Umstände konnte ich mich dann doch noch rechtzeitig losmachen und den beschriebenen Auftritts-Ort im Treptower Park Berlin ausfindig machen.

Dort angekommen, breiteten wir uns aus, die kleine Fangemeinde verschiedensprachiger Berliner, Fremder und aus der Fremde kommender Berliner, genügend Abstand haltend, mit Decken, etwas Zigarettenrauch, ein paar Bierflaschen und ganz viel Kleinkonzertatmosphäre. Ich war früh dran und konnte mich nur wenige Meter entfernt von dem bereits aufgestellten Mikrofon, dem Verstärker und zwei Kartons mit Verkaufs-Mitbringsel der Sängerin setzen. Keine Decke, keine Kippe und nur Wasser zu trinken, sank ich schwer zufrieden in das trockene Parkgras und hörte paar Meter zu meiner Rechten Alice mit anderen sprechen. Ich sank in das trockene Gras und zeitgleich allem ein Stückchen näher als zuvor: den Stimmen der anderen Besucher, dem leicht wärmenden Sonnenlicht des Nachmittags, dem zur-Ruhe-kommen und mir mittendrin. Jetzt, nach 2 ½ Monaten mal wieder eine gute Zigarette rauchen wäre toll! Und ein kühles Flaschenbier dazu ansetzten! dachte ich und nahm einen ordentlichen Schluck von meinem mindestens genauso guten Spandauer Leitungswasser.

Wir saßen alle auf der zertretenen Wiese und schienen alle gleich zufrieden und alt zu sein, auch das Ende fünfzig jährige Pärchen vor mir. Nur der Rollstuhlfahrer, der sich einen geeigneten Platz auf dem unebenen Grasgelände zurechfuhr, der schien jünger und konzentrierter.

Das Konzert war wie erwartet und mehr. Neue Lieder erfreuten besonders. Als Alice die ersten Töne ansang, schoss sie uns gleich in diese ihre magische Gesangs-/ Musikwelt. Sie entschuldigte sich noch für die schlechte Akustik während ich dachte: Wow, was für eine hervorragende Akustikqualität für ein klein angedachtes Straßenkonzert! Sie war sympathisch aufgeregt und schüchtern und professionell zugleich. Erinnerte an die Abstandsregeln und erwähnte die Aufregung einiger bei social media wegen dieser ihrer ersten öffentlichen Livegeschichte seit Corona. Aber ja, es war ok, keine Chaoten dabei, die trotz Unbekanntschaft aufeinander hockten, so mein Eindruck. Also – it works right now!

Erinnert ihr euch noch an die Gefühlsfluten und –wallungen, die sich bei den meisten erstmals in der frühen Jugend unter Musikeinfluss regten? An das „music was my first love“?

Ich werfe mir ein Himmelszelt aus Blau und lege ihn mit Musik-Samt aus.

Wenn Sehnsucht an einem Ort vollkommenen Ausdruck findet, dann ist es der Raum gefüllt mit Musik, Melodie, mit Gesang in Melodie verpackt. Wie schön es ist, dort anzukommen! Ich fühlte mich heute exakt so, als säße ich in einem dieser nostalgisch, melancholisch, romantisch angehauchten mir bekannten Musikvideos der Sängerin. Das Licht, die Stimme, das Publikum und die Vorbeieilenden, sie alle entsprangen der Videoclips und spielten tiefenentspannt in meiner Realität, der echten, greifbaren.

Und in diesem realen Sommertagsfilm konnte ich mich schweifen lassen, die Schuhe von den Füßen legen, den Rauch aus der Ferne einziehen und vorbeiziehen lassen, meine Füße mit dem abfallenden Fußnagellack dank der Abstandsregeln ausbreiten und in meine Gedankensprache abschlendern. Die Füße in den warmen Sand eingraben, mit den Händen die Sandkörner von den Beinen reiben und das Licht zwischen dem ausgebleichten Sonnenhaar umwehen – Meeres-Sehnsucht. Und Alice sang dazu, oder ich spann zu ihrem Gesang und ihrem Schönsein.

Wie wohl mir ums Herz wird, wenn ich Sätze unbekannter Ähnlich-Fühler lese! Oder Gesangstexte Ähnlich-Fühler höre!

Ich streue Sätze in die Weltgeschichte. Und lausche dabei auf den Gedanken, dass sie irgendwo fern eine Menschenseele in sich hineinliest und ihr zeitgleich ein Lächeln entfliegt. Manchmal bedarf es keiner größeren Kleinigkeit, um sich großartig zu fühlen.

Wie ich mich immer wieder um die Besinnung schreibe, um nicht wahnsinnig zu werden mit den Gedanken dazwischen.

Ob Alice wohl auch Glück empfindet, wenn sie sieht, dass sie uns mit ihrer Gesangskunst berührt?

Wörter aneinanderreihen, bis Lyrik im Treibsand mitschwingt und Anker in den warmen Erdboden setzt. Geerdet zum Stillstand kommen. Und furchtlos verweilen. Das Herzgewicht sinkt, die Zeitschwere rückt an den Zeitrand, die Sicht auf Zweifelsfrei klärt sich mit Anlauf auf.

Lasst uns zusammen so schön ausgebrannt in der weiten Ferne nach dem Nichts am Horizont Ausschau halten.

„Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“, schrieb einst Franz Kafka. Ein Lied scheint hingegen die warme Woge zu sein, die das gefrorene Meer in uns zum Schmelzen bringen kann, zumindest ein wenig.

Ich freue mich schon heute auf mehr solcher Musikerlebnisse in diesem Jahr, gerne wieder in meiner und der Gesellschaft der fremden Freude-Suchenden der großen Stadt.

Dieser Sommer wird mit allen Mitteln in die Länge gezogen! Den geb ich nicht so schnell her!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Matthias

    Dieser Sommer ist zum leben da.

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