Dem eigenen Leitstern auf der Spur

Schönheit (liegt) im Detail

Ich erinnere mich gerne an Menschen, die sich erinnern, die den Zauber der kleinen Schönheiten und die Aus-Strahlung der kleinen Makel inmitten dieser mit dem Auge und ihrem Geist erfassen können. Diesen Glanz in der Kinderwelt zu finden scheint meist ein Leichtes. In Kinderhorden kann einen gelegentlich ein ungefilterter Natürlichkeits-Flash für Minuten verblenden – keine aufgesetzten Persönlichkeiten, lauter kleine Naturwesen.

Schwieriger wird es in der Ansammlung von Menschenmassen Erwachsener. Wenn ich nachmittags nach meiner Bürowelt im Bus Richtung Zuhause sitze, treten viele Schichten von abgetragenen, müden Gesichtszügen hervor, eine vom Arbeitsschweiß ermatte Kleidung, von bürokratischer Kleinkramarbeit angeschlagene Auren. Unsere Sehkraft ist oft überladen von den Tageseindrücken (einer Stadt), die morgendliche Neugierde schweift dann etwas erschöpft in die Ferne. Dazwischen jedoch bleiben wir mit dem Blick hängen, auf einem ungeschminkten, schönen Gesicht, im vollen, langen, rötlichen Haar einer jungen Frau oder auf den wohlgeformten Fingerknöcheln des Sitznachbarn. Die unkaputtbaren kleinen Schönheitsdetails der Feierabendstunden werden im langen Schatten der untergehenden Sonne nach Hause gefahren. Sie schälen sich wieder in die erste Reihe vor unser (geistiges) Auge. Im Momentzustand der Erschöpfung sehe ich dann die Schönheit des Details, in einem solchen Moment ergreift mich menschliche Authentizität.

In einer solchen Klarheit möchte ich auch von (m)einer Lebensvision ergriffen werden. Nur, so ein Lebenstraum, der steht nicht einfach eines Tages fertig vor dir und reicht dir seine starke Hand. Dein Traum, deine Vision – sie wollen gestaltet, geformt, herausgeschält werden aus deinem Selbst. Daran muss man arbeiten, Tag für Tag für Tag.

Das Freifegen deines Leitsterns

Jede Arbeit braucht eine Vision, um mit (Wohl)Wollen und vielleicht sogar Leidenschaft getragen zu werden. Die alltäglichen Schönheitsdetails auf dem Weg dieser Visionsbildung  helfen den Gang zu gehen, manch eine trockene Arbeitsstunde zu ertragen, etwas Freude in die Arbeitswelt zu streuen. Sie füttern die Phasen der Erschöpfung, der leichten Resignation, der (Selbst)Zweifel mit Zuversicht. Sie pflastern den Weg entlang und hin zur unserer Erscheinung (Vision: von lateinisch visio – „Erscheinung, Anblick“). Ohne dieses innere Bild, dem subjektiv bildhaften Erleben von etwas sinnlich nicht Wahrnehmbarem, ist unsere tägliche Arbeit nur Arbeit.

„Wenn du ein Schiff bauen willst, trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und Arbeit zu erleichtern, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem endlosen weiten Meer.“

Zitat aus: „Die Stadt in der Wüste“ von Antoine de Saint Exupéry

Von großen und kleinen Visionen

Unsere Vision kann ein Vieles in Klein oder Groß sein. Es mag der Bau eines Königreichs oder der Aufbau eines Cafés sein, die Entdeckung eines Heilmittels oder die Erfindung eines Haushaltgeräts, das Wachsen einer Gemeinschaft oder das Perfektionieren eines Handwerks. Gerade heute im Zeitalter der Digitalisierung, der sozialen Medien und co scheinen die Möglichkeiten und Reichweiten unbegrenzt! Die Herausforderung ist herauszufinden, was der eigene Traum ist, wohin wir uns sehnen, was unser Talent, unsere Gabe ist und was unsere Begeisterung entflammt. Und keine Vision ist geringer als die andere! Denn eine jede gibt es so nur einmal unter den knapp 8 Milliarden Menschen. Und keine Arbeit auf dem Weg dahin ist mit weniger Respekt und Würde zu begegnen.

„Oft habe ich euch sagen hören, als sprächt ihr im Schlaf:
,Derjenige, der in Marmor arbeitet, und im Stein die Gestalt seiner eigenen Seele findet, ist edler als derjenige, der den Boden pflügt.
Und wer den Regenbogen ergreift, um ihn als Abbild des Menschen auf eine Leinwand zu bannen, ist mehr als derjenige, der die Sandalen für unsere Füße anfertigt.‘
Ich aber sage – nicht im Schlaf, sondern in der Wachheit der Mittagsstunde -, dass der Wind nicht sanfter zu den gewaltigen Eichen spricht als zum geringsten Grashalme;
Und dass allein derjenige groß ist, der die Stimme des Windes in ein Lied verwandelt, das durch seine Liebe noch wohltönender wird.“

Auszug aus „Von der Arbeit“, In: „Der Prophet“ von Khalil Gibran

Ich forme, suche, verwerfe, erschaffe meine Vision. Heute weiß ich – ich möchte schreiben, meine Gedanken und Gefühle und das Verbindende dazwischen in Sprache meißeln, in schwarze Druckschrift auf greifbares Papier. Die Vorstellung, dass meine Lyrik irgendwo in einer fernen Stadtbibliothek in einem (Sammel)Band abgelichtet ist und vermehrt wird, dass ein Fremder heute oder eines Tages nach ihr greift und beim Lesen ergriffen wird – das erhebt mich als Visionär! Und wenn mich diese meine Schrift überdauert, ist meine Vision erfüllt, real.

Und morgen – morgen weiß ich noch einiges mehr dazu zu schreiben.

Was ist deine (Arbeits)Vision in diesem Leben? Was ist dein Leitstern? Und was pflastert deinen oft mühsamen Weg dahin mit Lebensatem?

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