Alleinerziehend in Zeiten von Corona

Der perfekte Tagesplan im Ausnahmezustand

Corona, das ,verhasste‘ Wort. In dieser hochbrisanten und durchgehend dezent angespannten Zeit der schnellen Ver-Änderungen und Umlagerungen des Istzustands habe ich das Wort nicht-hören-zu-wollen gelernt. (Ich würde lieber ,hassen‘ schreiben, aber ich versuche meinen Kindern gerade nahezubringen, dass Hass ein schweres Wort ist, was überwiegend an falscher Stelle leichtsinnig Verwendung findet, um den Ausdruck diverser, meist launischer Aversionen zu verstärken. Nicht mögen reicht vollkommen aus).

Um dem Wort nun zu entgehen, und weil ich kleine Gemeinschaften und Natur oft lieber habe als Menschenmassen, ach ja, und um mit meinem und unserem Verhalten zum Flachhalten der Ausbreitungskurve und zum Eindämmen der Ansteckung durch den allen bekannten Virus beizutragen, darum also entwarf ich montags einen hervorragenden 5-Wochen-Lebensplan. Einen Arbeits- und (Über-)Lebensplan für meine drei Kinder und mich.

Der fast perfekte Plan beinhaltet in chronologischer Reihenfolge:
8:00 Uhr: endlich fällt auch der letzte aus dem Bett und duscht sich wach.
8:30 Uhr: Gemeinschaftsfrühstück, auch mit dem schlecht angelaunten Teenager, der meiner Definition des Ausnahmezustands immer noch nicht recht folgen vermag.
9.00 Uhr: Schulbeginn. 12:00 Uhr: Schulschluss. Dazwischen eine Abdrehpause.
(Das Großblatt mit den Arbeitsgebieten und Aufgabenstellungen der Kinder erspare ich meinen Lesern, die Kinder haben dieses schon genug durchkauen müssen.)
12:00 Uhr: endlich Freigabe des Fernsehens und des Smartphones. Ach nee, für den Teenager erst 12:30 Uhr, der musste aufgrund des Zuspäterscheinens im Schulbetrieb 30 Hausarbeitsminuten ableisten.
13:00 Uhr: Mittagessen. (Aus wie so oft unerklärlichen Gründen werden wieder pro Kopf zwei Portionen verdrückt, trotz des eingeschränkten Bewegungsmodus am Vormittag.)
13.30 Uhr: dreistündiger Ausgang, sozusagen Sport im Freien. Dank der noch rollenden Räder und der guten Laune des Wettergottes treibt es uns weit an den Stadtrand und darüber hinaus ins Grüne und Blühende und Sprießende des Frühlings. Und fern des nicht gemochten Wortes.
16:30 Uhr: die Kinder positionieren sich an die Computerspielgeräte, ich aufs Fahrrad Richtung Lebensmittelladen.
17:30 Uhr: der Haushalt ruft und wird von sechs Händen mit angepackt, der Teenager sitzt zu entspannt an seinem Rechner, als dass man ihn wieder in den Schubsmodus bringen sollte.
18.30 Uhr: der Tag ist fast geschafft! Die Kinder suchen sich einen Abendfilm aus, außer der Teenager, der sitzt zu entspannt an seinem Rechner, als dass man ihn wieder in den Bewegungsmodus bringen sollte.
Der Rest ist Routine. Ich kann in Oberflächeninformationen der sozialen Medien abtauchen und mich ein paar Minuten selbst loben für das (Über)Leben des Tages.
21.30 Uhr: der Teenager öffnet zum 34 Mal heute die Süßigkeitenschublade mit dem Fuß und greift nach Zucker. Ich maule, erkläre erneut, dass die Vorräte zwei Wochen hätten reichen sollen. Der Teenager verlässt grinsend und vollbepackt die Küche, ich eile mit dem Fuß zur Süßigkeitenschublade, greife und stopfe ebenfalls nach und vergesse – nicht mit dem Fuß! Und – ich verzichte in der Fastenzeit auf Süßigkeiten. (Das gehört allerdings nicht mehr zu den Kernpunkten des Wochenplans.)

Der beinahe perfekten Umsetzung eines beinahe perfekten Überlebensplanes folgt eine kleine abendliche Belohnung in Form meines momentanen Lieblingsrotweins. Dem folgen 50 Sekunden des Großzweifelns am Gesamtplan, fünf Minuten der Totalerschöpfung und schließlich das große Kurzzeitvergessen über einem Buch oder der Flimmerkiste.

Die kommenden Tage verliefen in ähnlicher Form und Dynamik, mit kurzweiligen Faltenglättungen beim Durchatmen am Abend und einem ersten Sonnenhautschimmer auf der zu groß geratenen Stirn dank der Großzügigkeit des Wettergottes.

Zudem schleichte sich nach etwas mehr Hellhörigkeit zwischen den Schrottnachrichten die schon in der Ferne gewusste Erkenntnis – Wir befinden uns hier immer noch auf der Sonnenseite des Lebens! Und die täglichen Tieflaunen zuhause sind meist Jammern auf hohem Niveau.

Die eigentliche Herausforderung im Ausnahmezustand

Erst zum Ende der ersten Woche des Ausnahmezustands spürte ich die Verengung um mein Herz und das Zuschnüren meines Lungenvolumens und merkte, wie sich die eigentliche Herausforderung in dieser Lebenslage in mein Bewusstsein drängte. Im wärmenden Sonntagslicht, auf einer stillen Lichtung inmitten des Grunewalds mit einem herrlichen Blick auf die entfernte Havel und meinen spielenden Kindern in Sichtweite warfen die schwammigen Gefühle endlich klare Konturen um sich. Sie gaben preis, was drängt.

Menschsein in Zeiten von Corona, das heißt für viele sich auf sich selbst besinnen, sich selbst in der Stille begegnen, fern der Nachrichtenflut, der sozialen Medien, der gewohnten Unterhaltungsbeschallung. Und da gibt es nicht immer nur Schönes zu entdecken. Und ganz gewiss wird dieses Entdecken trotz des anhaltenden Austauschs auf Distanz mit Familie und Freunden vor allem ein aufreibender Alleingang sein. Auch das ist eine Chance, nur – will man/frau sie schon wieder auf sich nehmen, annehmen und erleben? Reicht nicht schon die Last der Aufgaben und Forderungen in dem eingeschränkten Lebensraum oder wie in meinem Fall die alleinige Verantwortung und Betreuung für und von drei Kindern? Muss es nun auch noch der Blick in die tiefliegende Spiegelung meines Menschkerns sein?

In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Ausnahmezustand ein paar Erdumdrehungen mehr dauern kann als angekündigt, scheint mir der Spiegelblick unausweichlich. Es wird auch dieses Mal eine Wanderung zwischen Glanzkörpern und der Pathologie meiner Selbst. Es werden wieder Täler und Schluchten und weite Steppen hervortreten aus der Weichzeichnung und Verpixelung der ersten Tage.

Also tauchen wir ab in unsere Un-Tiefen und entschleiern unsere Un-Zulänglichkeiten, formfatalen und formvollendeten Liebenswürdigkeiten, schwachen Stärken und starken Macken. Nur so lässt sich eine Rund-um-die-Uhr-Begegnung mit der Familie zuhause über Wochen authentisch er-tragen, für die Kinder und die Eltern.

Ich tauchte den Fuß in das Gewässer und er sank. Ich bin gespannt, wo er diesmal stecken bleibt und in welche neuen Räume es mich verschlägt.

Lob und Segen

Mein Lob, meine Hochachtung und noch so viel mehr gehen heute von Herzen an alle alleinerziehenden Mamas und Papas, die ihre Kinder zuhause betreuen, beschulen und nebenbei vielleicht auch noch den Spagat zum Homeoffice schaffen. An alle Alleinerziehenden, denen die Zerstreuung durch den Partner am Abend, ein paar hilfreiche Stunden mit den Großeltern der Kinder und/ oder die Unterstützung durch das andere Elternteil nicht gegeben sind. Ihr seid meine leisen Helden der ersten Ausnahmewoche. Auf euch hebe ich ein Glas von meinem  Lieblingswein! Auf euch und unsere Spiegelung mittendrin.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Matthias

    Ein stetiger Appell in diesen Zeiten ist unabdingbar, an die Mitmenschen, an die Kinder und letztendlich an uns selbst. Den Abstand zu wahren, zur Erhaltung des Mensch Seins und Verlangsamung der unsichtbaren, aufziehenden dunklen Kraft.

    Der Respekt von Alleinerziehenden in diesen Zeiten kann nicht als zu gering geschätzt werden. Zumal die ein oder andere gefangen im Apparat der Systemrelevanten Arbeitsverhältnisse nicht selten in Schichten arbeitend, mehr oder weniger allein auf sich gestellt, mehr als sonst, stetig versucht nicht zu verzweifeln und nicht am eigenen Anspruch zu bersten.

    Da ist mein bescheidenes Auskommen mit den Unzulänglichkeiten der Vorgesetzten in diesen Zeiten noch erträglich.

    Während alle Anderen im Arbeitsumfeld zur Wahrung ihrer Gesundheit der Weg ins Büro erspart und von zu Hause die Geschicke lenkend, muss man selbst wie selbstverständlich ohne Rücksicht im Büro Unmögliches ermöglichen.

    Während zu Hause der Teenager schon sehr engagiert, aber doch manchmal in fragwürdigen Weisen, auf sich allein gestellt den zu bewältigenden Schulstoff abarbeitet.

    Und doch sind es die kleinen Begegnungen mit Mensch, Flora und Fauna die einem Kraft schenken.

    Sei es auf Abstand das freudige zufällige Sehen und Austauschen mit den Seinen, für einen kurzen Augenblick von zwei Minuten. Der Drang sie mit zunehmen und diese Zeit gemeinsam zu durchstehen, wohlwissend des eingeschränkten Raumes und Energielevels.

    Der blühenden Natur, die sich die niederlegende Hektik und Wirrnis, Raum zurückerobert.

    Das triumphierende Kreischen von vereinzelten Möwen, Kranichen und über die Köpfe hinwegziehende Gänse. In Ihrer vermeintlichen Unbeschwertheit möchte man gern mit entschweben.

    Und so sehr man den eigenen Anspruch versucht in Einklang mit den äußeren Bedingungen zu bringen. So sind die Tage noch intensiver, noch zehrender und doch im Sonnenlicht und Wolkentaumel dieser Woche eben auch bewusster.

    Manch Sehnen nach Berieselung am Abend zur Ablenkung durch ein flimmerndes etwas, schiebe ich (noch) erfolgreich weg.

    Und über bestimmte Ernährungsunzulänglichkeiten beim Teenager und auch bei mir, könnte ich ebenso viel berichten. Ich schaue hinweg und versuche dann und wann Einhalt zu gebieten.

    Wir werden in einiger Zeit wieder in ruhigere Wellenberge eintauchen. Dabei werden wir uns auf eben diese Zeiten besinnen, andere werden ihr Leben in aller (vermeintlichen) Oberflächlichkeit fortsetzen können.

    Die Erkenntnis, wir sind nur Gast auf Erden und nicht Gastgeber, aber eben Wegbereiter, muss uns ein Wegweiser sein. Vor allem auch in diesen Wochen der zusätzlichen Umdrehungen und manches Verzichts.

    1. Joanna

      Gutes Durchhalten euch in diesen Zeiten! So wie ich das aus der Ferne mitbekomme schlägt sich dein Teenager sehr gut in der ungewohnten Situation, Daumen hoch dafür!

  2. Tonia

    So schön geschrieben… ich musste schmunzeln und zwischendurch die Enge ums Herz mitfühlen… wir stehn das iwie durch …ob nun gestärkt oder total durch… iwas nehmen wir auf jeden fall mit…

    1. Joanna

      Allerdings, wir stehen das sowas von durch! Ich freue mich über deinen Input und deine Kreativität in der Selbständigkeit trotz der Lage… mach weiter so 🙂

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