2021: Meine Ode an die Freundschaft

Weihnachten war für mich schon immer die anstrengendste Zeit als Single. Der Übergang von Herbst zu Winter ist auch schon ohne die sentimental angehauchte Adventszeit trübe genug. Die immer kürzer werdenden Tage, die Kälte ohne vernünftig werdende Schneedecke, die Morgenfahrten mit den blassen, vermummten Stadtgesichtern zur Arbeit, die wieder einmal pandemiebedingt vielen Tage im Homeoffice, die Nachmittagstermine mit kaltem Arsch auf dem Fahrradsattel und einer bescheidenen Straßenbeleuchtung. All das schlaucht ganz schön einen jeden, und die Sonnenanbeter und -liebhaber unter uns vielleicht sogar noch ein wenig mehr. Wenn man dann wenigstens so schlau gewesen wäre, endlich mal einen Winter vorzusorgen mit genügend Vitamin-D-Tabletten, einer Tageslichtlampe und / oder einem leichteren Abendhobby als musikalische Melancholie und Getexte und Gelese von (Prosa)Texten mit Tiefganggequatsche.

Aber, ich will mich nicht beschweren, immerhin sitzen wir nicht wie vor einem Jahr in einer nicht enden wollenden Quarantäne (Toi toi toi!). Die Kinder sind gesund, der Älteste führt seit mittlerweile über 1 ½ Jahren eine Paarbeziehung, die Schullücken des vergangenen Pandemiejahrs werden mit den Jüngeren ohne Mord- und Totschlag aufgearbeitet, körperliche Gebrechen meinerseits gekonnt auf später verschoben, im Idealfall auf die nie eintreffende Rentenzeit (nie eintreffend, da ich bis zum bitteren meinen Tod einer Arbeit nachgehen werde, bei der aktuellen Rentenaussicht).

Fazit 1 – alles ist gut und alles könnte wie immer besser. Fazit 2 – alles ist irgendwie auch Schieße und wird von Tag zu Tag beschissener. Nee, Scherz, ernstgemeinter. Also jetzt im Ernst – ein Scheeerz. Beschissen ist einzig das Schattengewicht des mir gut bekannten letzten Mohikaners, der in der (Vor)-Weihnachtszeit besonders arschig werden kann zu mir. Er lässt mich unbeirrt wissen – Was auch immer du von der Zukunftsaussicht erwartest, sie wird es dir anders richten und dich in Unkenntnis deiner Lage lassen, bis du bereit bist, deine Sichtachsen zu überdenken und auch in den blassesten Grautönen das Licht zu erblicken. Und da ist es wieder, das fehlende Licht in den kürzesten Tagen des Jahres für die Lichtanbeter auf Erden, für mich.

Ich wünschte meine Wörter klängen wie Musik und ich könnte in ihrem Hall mit davon schweben, mich ausklingen hören und erfüllt wieder bei mir landen. Vergessen was uns voneinander trennt. Jemanden finden, der auch dem Weltschmerz die Stirn bietet und keine Träne dabei als vergeudet fühlt. Das eigene Verlorensein als Offenheit in einer weiten Welt mit wachen Geistern dankbar durch den Tag trägt. Menschen, die mit der richtigen Bleistifthärte Haikus in dein Leben skizzieren und darin überdauern, die mag ich, die will ich. Die alten Seelen, die im Seelenfrieden mit meiner kein alt nur friedvoll spüren.

Diese beschissene Charakterschleifung durch die Pandemiezeit! Das reicht auch für mein nächstes Leben, liebes Seelenheil.

Der Jahresausklang ist oft auch ein Jahresrückblick, ein Zurückschauen auf das, was man erreicht hat, was sich Schönes oder weniger Schönes in unserem Leben ereignet hat, welche Erfahrungen uns besonders geprägt haben und uns besonders anhaften. Ich aber möchte nicht zurückblicken, ich muss nicht zurückblicken. Alles was von Bedeutung war ist mir ins Gesicht geschrieben, in die Stirnfalten wie die Kainszeichen, in die allgegenwärtige Aura meiner Geister, in mein Abbild aus den verschmutzten Spiegelungen.

Ich konnte in diesem Jahr viel über Beziehungen erfahren, ohne dass ich selbst eine Paarbeziehung geführt hätte. Ich habe Freunden zugehört in vielen Notlagen, in unzufriedenen Zeiten, in herausfordernden Zeiten. Ich habe meinen Sohn beobachtet beim Versuch und Bemühen seinen Weg in einer Beziehung zu finden und musste mit Stolz feststellen, dass er mir schon jetzt in einigen zwischenmenschlichen Verhaltensweisen weit voraus ist. Ich habe es als Bereicherung empfunden, ihn oder Freunde anzuhören, ihnen zuweilen auch einen gut gemeinten Rat mitgeben zu können oder einfach nur meine ungeteilte Gastfreundschaft und Gesellschaft anzubieten. Diese Gespräche und diese Abende haben mich in vielen Sphären bereichert und beschenkt und mir Trost beschert, wenn aus mir selbst nur Trostloses zum Vorschein kam. Ich konnte zuhören, vermissen und sehnen und auch ohne sie haptisch zu bekommen, sie spüren – die Zärtlichkeit des Zwischenmenschlichen. (Zärtlichkeit, welch ein abstraktes Wort in den kleinen Kämpfen des Tages! Meist nimmt sie erst zur späten Tagesstunde Gestalt an als Erinnerung, Sehnsucht und Ausdruck von Menschlichkeit.)

Mein Jahr geht wieder einmal einsam zu Ende, ohne einer starken Schulter zum Anlehnen, zum Wegträumen, zum Sichselbstvergessen. Und doch, glücklicherweise, kann ich auch diesen Jahresausklang nicht nur die Einsamkeit spüren, sondern vor allem viel Dankbarkeit für jede Begegnung, jedes Gespräch, jeden Freudemoment auch in den traurigen Augenblicken. Freunde sind wirklich etwas Wunderbares. Sie helfen ungemein dabei, eine alte Erkenntnis gemeinsam zu (er)tragen: Es ist das Schicksal eines jeden Menschen einzigartig zu sein. Und in dieser Einzigartigkeit manchmal auch einfach nur sehr allein.

Und so kann ich auch im Absprung ins Neue Jahr sagen: Ich stehe aufrecht und bin im Fall.

Gleich beginnt der kürzeste Tag des Jahres. Und ich freue mich auf jede Minute mehr der neuen Tage, die uns danach das Herz ein wenig mehr erwärmen können.

Und während Adele mein momentanes Lieblingslied aus ihrem neuen Album singt (I drink wine) formt sich ein Gedanke zwischen meine Finger und verheißt Standhaftigkeit für 2022: Ich kann noch nicht alt werden. Ich weiß noch nicht mit wem.

Freundin im Museum Barberini, Potsdam, Juli 2021

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tonia

    Neben dir stehend und im freien Fall dabei… ❤

  2. Torsten

    Der Mensch zum alt werden wird kommen. ?

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